Donnerstag, 26. April 2012

Abschied nehmen - Kinder mit lebensverkürzenden Krankheiten

Julia ist immer noch Thema, beim Frühstück oder beim Zubettgehen. Manchmal auch zwischendurch, wenn André gerade an sie denkt. Dann sagt der Sechsjährige zum Beispiel zu seiner knapp dreijährigen Schwester Sophie: "Schade, dass du erst so spät geboren bist, und du sie nicht mehr kennen gelernt hast." Für André ist und bleibt Julia die Große, seine ältere Schwester, auch wenn diese noch nicht mal so alt wurde, wie André jetzt schon ist. Mit fünf Jahren starb das Mädchen an den Folgen des Tay-Sachs-Syndroms, einer seltenen Stoffwechselerkrankung, die genetisch vererbt wird.

Julia kam im Oktober 1998 auf die Welt. Sie war ein ganz normales, lustiges Baby mit großen blauen Augen. "Aber irgendwann fiel auf das sie sich nicht normal weiter entwickelt: sie fing nicht an zu krabbeln oder sich zu drehen. Trotz der verschriebenen Krankengymnastik machte sie keine Fortschritte, sondern sogar Rückschritte.Das kleine Mädchen war knapp ein Jahr alt als sich der Verdacht der Ärzte bestätigte: Julia litt am Tay-Sachs-Syndrom, einer genetisch vererbten Krankheit, die meist im ersten Lebensjahr bemerkt wird und an der das Kind normalerweise bis zum vierten Lebensjahr stirbt.  

Seit der Diagnose war im Leben der Familie nichts mehr, wie es vorher war, es ist eine verdrehte Welt, in der ein Kind vor den Eltern sterben soll. Die Eltern müssen sich mit Abbau und Tod, statt mit Aufbau und Zukunft auseinandersetzen.


Das Leben bringt eine grausame Erkenntnis nach der anderen hervor: Sie werden nicht über einen Kindergartenplatz, über die Schulform, über den weiteren Lebensweg von Julia nachdenken. Es geht nur noch ums Jetzt." In der Zeit, in der Julia immer schwächer wird, werden ihre Eltern stärker: Sie lernen Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und versuchen, so viel zu genießen mit Julia, wie es eben geht. Das geht vor allem an Orten, wo der Tod kein Tabu ist, wo Sterblichkeit genauso gegenwärtig ist wie praktische Entlastung oder ein offenes Lachen: wie im Kinderhospiz "Balthasar" in Olpe. In dem Haus können sich Eltern mit ihren Kindern, die eine - so die Definition - lebensverkürzende Krankheit haben, entspannen von ihrem Kräfte zehrenden Alltag. "An diese Wochen erinnere ich mich sehr gerne. Das Balthasar ist für uns ein zweites Zuhause geworden", sagt Julias Mutter. Die Nähe, die sie dort mit anderen Betroffenen empfinden, erleben sie nur selten Zuhause, denn einige aus dem Umfeld ziehen sich im Laufe der fortschreitenden Krankheit zurück: "Beim Leid zuzusehen, erträgt nicht jeder", weiß die Mutter.

Julia verliert langsam alle Fähigkeiten. Sie hört nichts mehr, sieht nichts mehr, sie bekommt Krampfanfälle, muss über eine Magensonde ernährt werden, Tag und Nacht braucht sie Pflege. Ende 2002 geht es Julia so schlecht, dass die Mutter glaubt, dass sie nicht mehr lange leben wird. "Ich war so verzweifelt, dass ich etwas tun musste, um mit diesem Gefühl umzugehen" Julias Mutter beginnt das Begräbnis zu planen: minutiös, bis ins letzte Detail. "Ich musste das einfach tun. Es hat mir geholfen, die Angst vor dem Tag loszuwerden." Julia hat noch ein Dreivierteljahr gelebt, dann ist sie im Oktober 2003 zu Hause in den Armen ihrer Eltern gestorben. Angst hatte die Mutter da keine mehr, denn "der Tod", so stellt sie heute fest, "hat für mich den Schrecken verloren".


Auch heute noch, vier Jahre später, ist Julia mittendrin im Leben der Familie. Sie erzählen von ihr, erinnern sich an sie, im Wohnzimmer sind Fotos, eine Kerze mit der Gravur ihres Namens und kleine Spielzeuge von ihr. Das alles hält die Erinnerung wach, damit Julia sich nicht langsam aus dem Leben der anderen schleicht. Aus ihrem eigenen hat Julia sich verabschiedet. Mit dieser klaren Tatsache, dass es einfach keine neuen Geschichten mehr von, mit und über Julia geben wird, dass alles schon mal erzählt, erlebt und gedacht ist, dass Julias Zukunft schon zu Ende ist, damit mussten ihre Eltern und auch Bruder André erst zu leben lernen. Jedes der Familienmitglieder lernte und lernt das bis heute auf seine eigene Weise, aber geschafft haben sie es alle, kann die Mutter stellvertretend für die Familie heute sagen. Die Trauer ist dennoch spürbar. Im Gespräch über ihr verstorbenes Kind ist die Mutter immer mal wieder den Tränen nah. Die Traurigkeit darüber ist immer noch greifbar, aber die Lebensleere, die Ohnmacht, die Fragen nach dem Warum haben aufgehört sie zu quälen. Sie kann den Tod ihres Kindes annehmen. Bis dahin war es ein langer Weg.


Kinderhospize:



Der Bericht oben ist eine leicht verkürzte Version eines Berichtes von der Seite des Deutschen Kinderhospizverein e.V. ! Er zeigt eindrucksvoll, wie Familien mit dem Tod eines Kindes umgehen und wie verschieden dieser Umgang mit dem Tod sein kann. Auch schildert die Mutter der kleinen Julia, wo sie Hilfe bekamen. Das Kinderhospiz Balthasar, indem die Familie einige Wochen verbracht hatte, ist das erste Kinderhospiz in Deutschland und wurde im September 1998 eröffnet. Mittlerweile haben noch weitere Kinderhospize eröffnet, die den Familien kostenfreie Hilfe anbieten. Dort können die Familien gemeinsam mit dem erkrankten Kind einige Wochen Urlaub im Jahr machen. Alternativ kann auch das erkrankte Kind betreut werden, während sich die restliche Familie einmal Zeit für sich nimmt oder gemeinsam einen Urlaub macht. Im Kinderhospiz steht ihnen rund um die Uhr ausgebildete Mitarbeiter zur Verfügung, die das Kind pflegen, umsorgen,  ihm Geborgenheit geben oder Aktivitäten nach seinen Möglichkeiten anbieten. Die Einrichtung ist meist sehr vielfältig. So finden sich in einem Kinderhospiz meist Schwimm- bzw. Therapiebecken, Gartenanlagen mit Spiel- und Sitzmöglichkeiten, Snoozleräume, Spielzimmer, Wohn- und Essräume, Einzelzimmer für die erkrankten Kinder und natürlich Apartments für die restlichen Familienmitglieder. In der letzten Lebensphase des Kindes kann die Familie zu jeder Zeit im Haus sein. Die Kinder und Familien werden bis zum Tod und auch über diesen hinaus begleitet. So findet sich meist auch ein Abschiedsraum im Kinderhospiz, wo das verstorbene Kind noch einige Tage bleiben kann. Jedoch wird ein Kinderhospiz von den Familien immer auch als ein Ort des Lebens und nicht nur als ein Ort des Todes erlebt. Man lernt Menschen mit ähnlichen Schicksalen kennen, kann sich austauschen und beistehen. Die Zeit im Kinderhospiz ist eine Zeit in der sich die Familien wieder mehr auf sich, ihr krankes Kind und auch auf dessen Geschwister konzentrieren können, da sie mehr Zeit haben, Verantwortung abgeben können und endlich wieder etwas zur Ruhe kommen können.


Weitere Informationen...
  1. Allgemeine Informationen zu Kinderhospizen
  2. So kannst du im Kinderhospiz helfen
  3. Weitere betroffene Kinder: Wenn Kinder sterben müssen - Kinderhospize in Deutschland
  4. Auch in dem Buch "Ein Regenbogen zu den Sternen" von der Gründerin des Hamburger Kinderhospizes Sternenbrücke erfährst du viel über Kinderhospize. Hier geht es zur Leseprobe!




 Quellen: Deutscher Kinderhospizverein e.V. / Kinderhospiz Balthasar Homepage

Donnerstag, 5. April 2012

Friedensdorf - ein Zuhause auf Zeit für kranke Kinder